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23.01.2024

Von unserem taskforce Partner Dr. Marcus Kind

Wie die Entwicklung und Implementierung einer Nachhaltigkeitsstrategie Unternehmen im Wettbewerb trotz großer Herausforderungen nach vorne bringen.
 

Mit den 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs – Sustainable Development Goals) haben die UN-Mitgliedstaaten den Rahmen für nachhaltiges Wirtschaften gesetzt. Alle Akteure – Investoren und Finanzunternehmen eingeschlossen – sind zur Umsetzung der Ziele aufgefordert.

Der „Google Cloud Sustainability Report 2023“, eine in 16 Ländern unter 1.476 VPs und C-Suite Executives erhobene Umfrage, verdeutlicht jedoch das hohe Risiko, in der Umsetzung zu scheitern. Im Vergleich zur Umfrage von 2022 sind ESG-Initiativen bereits vom ersten auf den dritten Platz zurückgefallen. Aufgrund destabilisierender Rahmenbedingungen kommen weniger Nachhaltigkeitsprogramme zur Einführung bzw. erfolgreich ins Ziel. So belasten in Deutschland Energiekosten, Haushaltskrise und Konjunktursorgen die Wirtschaft. Politische und überbordende bürokratische Vorgaben werden immer mehr zum Bremsklotz für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsagenda.

Der Zeitpunkt für eine Weichenstellung ist jetzt. Die Fähigkeit von Unternehmen, zukünftig Werte im Sinne einer regenerativen Ökonomie zu schaffen und sich dabei zu wettbewerbsfähigen Konditionen (re-)finanzieren zu können, hängt auch davon ab, wie gut es gelingt, die SDGs in ihrer Unternehmensstrategie messbar zu operationalisieren. Dabei ist es wichtig, die Balance zwischen Kosten und Nutzen zu wahren.

In der Praxis ist festzustellen, dass die Erfassung unternehmensindividueller Nachhaltigkeitsaspekte eine große Hürde darstellt und nach wie vor viele Fragen aufwirft. Vor allem KMUs stehen nicht nur bei der Erfüllung der regulatorischen Vorgaben für die Nachhaltigkeitsberichtserstattung vor großen Problemen. Die Erarbeitung einer Nachhaltigkeitsstrategie und deren Integration in die Entscheidungsprozesse stellt eine weitere Herausforderung dar. Trotz der hohen Komplexität dieser Aufgaben sollte der Handlungsbedarf nicht ignoriert werden, denn die regulatorischen Anforderungen nehmen immer weiter zu. Wie jede Unternehmensstrategie benötigt auch die Nachhaltigkeitsstrategie eine fundierte Grundlage, um sowohl einen unternehmerischen als auch sozialen und ökologischen Nutzen erbringen zu können.

Die folgenden Ausführungen sollen wichtige Schritte und Maßnahmen bei der Erstellung eines Geschäftsmodells „Nachhaltigkeit“ aufzeigen.

  1. Corporate Forecasting

Der Kontext, in dem Nachhaltigkeit heute stattfindet, ist komplex und hoch dynamisch. Weltweite Trends und Herausforderungen müssen kontinuierlich beobachtet werden. Der Blick in die Zukunft eröffnet dem Unternehmen den Zielhorizont für seine Nachhaltigkeitstransformation. Zur Vorbereitung des Unternehmens auf unterschiedliche Zukunftsstadien und die damit verbundenen Risiken sind Methoden der Szenario-Technik ein wichtiges Hilfsmittel. In diesem Zusammenhang empfiehlt sich gleichzeitig der Aufbau eines Frühwarnsystems, um rechtzeitig strategische Weichen stellen und durch gezielte Maßnahmen gegensteuern zu können.

  1. Stakeholder- und Shareholder-Analyse (Status & Gap)

Unternehmen brauchen ein grundsätzliches Verständnis dafür, wo sie im Nachhaltigkeitskontext stehen. Dazu sollte eine systematische Aufnahme der Erwartungen, Perspektiven und Nachhaltigkeitsvorschriften interner und externer Interessengruppen erfolgen: Gesetzgeber/Regulatorik, Medien, NGOs, Investoren, Gewerkschaften, lokale Behörden, Gemeinden, Verbände, Ratingunternehmen, Verbraucherorganisationen, Lieferanten, Kunden, Technologiepartner, aktuelle und potenzielle Wettbewerber, Mitarbeitende und Arbeitnehmervertretungen, Eigentümer, interne Organisationseinheiten.

Relevante Themen können so frühzeitig erkannt und die Akzeptanz von Entscheidungen und Maßnahmen gefördert werden. Für die angemessene Entwicklung von Nachhaltigkeitszielen ist es erforderlich, die Stakeholder zu klassifizieren und entlang ihrer „Customer Journey“ zu managen.

  1. Fokussierung - Identifikation der wesentlichen Nachhaltigkeitsaspekte

Um sich der eigenen „Wesentlichkeit“ in Bezug auf Nachhaltigkeit bewusst zu werden, bieten sich international entwickelte Regelwerke wie die 17 Nachhaltigkeitsziele der United Nations bzw. deren 169 Unterziele an. Diese sind zwar nicht speziell für die Anwendung in Unternehmensstrategien formuliert, bieten jedoch eine gute Orientierung zu wesentlichen Handlungsfeldern einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung. Die SDGs sind bereits mit vielen Nachhaltigkeitsberichtsstandards, wie beispielsweise dem ESRS (European Sustainability Reporting Standard), verbunden.

In den meisten Unternehmen werden bereits an vielen Stellen nachhaltigkeitsorientierte Initiativen durchgeführt, auf die aufgebaut werden kann. Deshalb ist die Durchführung von Interviews mit internen und externen Interessengruppen (ggf. unter Einbeziehung externer Experten) sowie moderierter Workshops eine weitere Möglichkeit zur Identifikation und Vorauswahl von Nachhaltigkeitshandlungsfeldern über das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk des Unternehmens hinweg. Auf Grundlage dieser Ergebnisse sollte zur Einschätzung der Relevanz der identifizierten Nachhaltigkeitsthemen im nächsten Schritt eine aussagekräftige Wesentlichkeits-/Materialitätsanalyse durchgeführt werden. So gelingt es, auch die bereits laufenden Nachhaltigkeitsbestrebungen in einen strategischen Rahmen zu fassen und gleichzeitig die Anforderungen der geltenden Berichtsstandards zu erfüllen.

  1. Leitmotiv und Positionierungsniveau

Unterschiedliche und ggf. widersprüchliche Nachhaltigkeitsprioritäten sollten im Unternehmen harmonisiert werden und eine Festlegung erfolgen, mit welchem Nachhaltigkeitsverständnis die zukünftige Wertschöpfung gestaltet werden soll. In Abhängigkeit von den jeweiligen Voraussetzungen kann dies in einem Reifegradmodell auf einer Skala von passiv (Schritt mit den gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen halten) bis proaktiv (Nachhaltigkeit als Bestandteil des Markenkerns und zentraler Differenzierungsfaktor zur Steigerung des Unternehmenswerts) erfolgen.

  1. Nachhaltigkeitsziele

Nachhaltigkeitsziele müssen in die Unternehmensstrategie einfließen und diese unterstützen. Sind die unternehmensspezifischen Handlungsfelder definiert, geht es für alle relevanten Organisationseinheiten darum, konsequent an deren Umsetzung zu arbeiten. Dies geschieht in Abhängigkeit vom angestrebten Positionierungsniveau und der Tiefe der organisatorischen Einbindung. Die Zielformulierung sollte möglichst spezifisch nach den SMART-Kriterien erfolgen und dabei darauf geachtet werden, dass keine Zielkonflikte entstehen. Nicht zuletzt aufgrund der Anforderungen der EU-ESG-Regulatorik sollte das Entstehen paralleler Nachhaltigkeitsstrategien vermieden werden.

  1. Organisatorische Verankerung

Die organisatorische Verankerung von Nachhaltigkeit sowie die Zuordnung der entsprechenden Kompetenzen kann sehr individuell ausfallen und hängt u.a. von der Unternehmensgröße und der bestehenden Unternehmensstruktur ab. Grundsätzlich sollte darauf geachtet werden, dass das Nachhaltigkeitsmanagement horizontal, vertikal und funktionsübergreifend in die Organisationsstruktur integriert ist. Die Geschäftsführung trägt auch hier die Gesamtverantwortung. Unter dem Vorsitz eines Geschäftsführungsmitglieds könnte ein „Corporate Sustainability Council“ als zentrales Entscheidungsgremium die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie steuern und überwachen, die Risiken managen und Maßnahmen empfehlen. Darüber hinaus nutzt der Council die Ergebnisse regelmäßiger Wesentlichkeitsanalysen und deren Abgleich mit der Geschäftsstrategie zur Anpassung der Nachhaltigkeitsstrategie. Er ist verantwortlich für die Governance-Strukturen und -Prozesse und stellt sicher, dass die Maßnahmen der verschiedenen Unternehmensbereiche, Konzernfunktionen und Auslandsgesellschaften mit der Nachhaltigkeitsstrategie übereinstimmen. Der Council sollte deshalb aus Mitgliedern bestehen, die für die operative Ausgestaltung der Nachhaltigkeitsstrategie verantwortlich sind. Neben dem Council kann der Aufbau einer Zentralabteilung für Nachhaltigkeit unter Leitung eines Sustainability Officer von Vorteil sein. Dieser unterstützt den Council bei der Steuerung des Zusammenspiels der verschiedenen Organisationseinheiten und Funktionen.

  1. Operationale Transformation

Ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg der Nachhaltigkeitstransformation liegt in der Operationalisierung d.h., in der Anpassung der Prozesse und Metriken, der IT-Unterstützung, der Qualifizierung interner, aber auch externer Stakeholder und dem Aufbau von Bewusstsein für dieses wichtige Thema. Nachfolgend werden einige Aspekte zu diesem Thema weiter vertieft.

Prozessanpassungen

Im Rahmen der Nachhaltigkeitstransformation sind in aller Regel inhaltliche Anpassungen des Prozessmodells und der daraus abgeleiteten Prozesse erforderlich. Aufgrund der Regulatorik werden darüber hinaus die Anforderungen an die Messbarkeit der Prozesse steigen. Mit digital unterstützten Managementsystemen lassen sich nachhaltige Konzepte schneller und weniger fehleranfällig realisieren.

Digitalisierung

Die digitale Transformation ist ein entscheidender Faktor, da sie sich über alle Teilbereiche des Unternehmens erstreckt und unternehmerische Nachhaltigkeit erst ermöglicht. Zur technologischen Umsetzung der Nachhaltigkeitsanforderungen sowie zur Befähigung der erforderlichen IT- und Datenmanagement-Prozesse empfiehlt sich zunächst ein Assessment der vorhandenen Systeme. ESG-bezogene Daten sind in den Unternehmen oft in verschiedenen Software-Applikationen (u.a. ERP, CRM, PLM, CAD, PDM) fragmentiert, aktuelle Anwendungen müssen erweitert und/oder modifiziert werden und meistens existieren nur wenige Erfahrungen mit ESG-KPIs. Daneben müssen ggf. externe Daten beschafft und mit internen Datensätzen kombiniert werden. Die Daten- und Integrationsherausforderungen sind enorm.

Steuern, handelsrechtliche Fragestellungen - Vermeidung regulatorischer und rechtlicher Interventionen

Nachhaltigkeit macht vor Steuern und dem Handelsrecht nicht halt. Die Öffentlichkeit interessiert sich immer mehr dafür, inwieweit ein Unternehmen seinen angemessenen Anteil an der Steuerlast und der Finanzierung des Gemeinwesens trägt. Steuern rücken zudem als Lenkungsinstrument zur Erreichung der Klimaziele zunehmend in den Vordergrund. Insbesondere international tätige Unternehmen bewegen sich in einem komplexen steuerrechtlichen Umfeld. Eine Menge ESG-bezogener Steuern können durch nachhaltiges Verhalten verringert bzw. vermieden werden. Es gilt daher, die nationale und internationale Gesetzgebung sowie dazugehörige Themen im Blick zu behalten, die u.a. im Zuge des European Green Deals und des Fit-for-55-Pakets auf den Weg gebracht wurden.

  • Tax Reporting: verpflichtende Aufnahme von Steuerthemen in die Nachhaltigkeitsberichterstattung sowie Gewährleistung von Steuertransparenz.
  • Kreislaufwirtschaft: Bei der Erhöhung der Recycling- und Reduktion der Entsorgungsquote können sich für das Unternehmen gewerbesteuer- und umsatzsteuerpflichtige Vorgänge ergeben.
  • Nachhaltigkeitsstrategie: Die Umsetzung kann Anpassungen der Lieferketten, Akquisitionen oder die Verlagerung des Unternehmenssitzes zur Folge haben, wobei jeweils die steuerlichen Auswirkungen zu beachten sind.
  • EU-CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM – Carbon Border Adjustment Mechanism): Der Mechanismus soll sicherstellen, dass CO2-Emissionen von Importen aus Nicht-EU-Ländern ermittelt und durch CO2-Emissionszertifikate ausgeglichen werden. Ziel ist, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten und der Abwanderung in Länder mit geringeren Dekarbonisierungsvorschriften entgegenzuwirken. Perspektivisch werden zahlreiche Unternehmen davon betroffen sein.
  • BEPS (Base Erosion and Profit Shifting) 2.0 (Pillar 2) – Globale Mindestbesteuerung: Insbesondere für große, global agierende Unternehmen verändert BEPS die steuerlichen Rahmenbedingungen von Grund auf. Betroffene Unternehmen müssen eine Neubewertung ihrer finanziellen und operativen Strukturen und ihrer Steuerstrategie vornehmen.
  • Lieferkette: Änderungen in der Gestaltung der Lieferkette können Auswirkungen auf das Verrechnungspreismodell, die indirekten Steuern und die Zollabgaben haben. 

 Nachhaltigkeitsberichterstattung - Vermeidung regulatorischer und rechtlicher Interventionen

Speziell größere Mittelständler und Großunternehmen sehen sich mit zahlreichen regulatorischen Anforderungen konfrontiert. Dazu zählen u.a. die EU-Taxonomie & SFDR (Sustainable Finance Disclosure Regulation), die CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive), das LkSG (Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz), die Green Claims Directive, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive. Immer mehr Unternehmen stellen fest, dass sie unter die Berichtspflicht der Europäischen Union (CSRD) fallen bzw. in Kürze fallen werden und gemäß den Europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards (ESRS) berichten müssen. Die Relevanz der Nachhaltigkeitsberichterstattung wird nicht nur in der EU kontinuierlich zunehmen. Das Thema ist komplex und nicht intuitiv handhabbar. Eine rechtzeitige Auseinandersetzung mit den regulatorischen Anforderungen sowie regelmäßige EU-Regulatorik-Assessments sind zur Vermeidung rechtlicher Interventionen essenziell.

Qualifizierung

In einem Umfeld, das zunehmend auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist, kommt dem Aufbau fundierter Kompetenzen eine besondere Bedeutung zu. Zur Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs sollte eine Status-Gap-Analyse bei den relevanten Stakeholdern erfolgen. Ziel ist der Aufbau eines Qualifizierungskonzepts, das den Anforderungen der jeweiligen Zielgruppe gerecht wird.

Nachhaltigkeitsdialog

Zur Gewährleistung der Akzeptanz für die Nachhaltigkeitsstrategie bei den verschiedenen Stakeholder-Gruppen müssen alle wesentlichen Entscheidungen und Maßnahmen transparent kommuniziert werden. Hierzu sollte ein zur Kommunikations- und Markenstrategie passendes Konzept entwickelt werden. Die regelmäßige Durchführung von Wesentlichkeitsanalysen gibt Hinweise auf die für die Anspruchsgruppen relevanten Kommunikationsanforderungen. Die Richtlinien und Grundsätze für das Kommunikationskonzept sollten darüber hinaus in einer Nachhaltigkeitsrichtlinie festgelegt werden.

  1. Fazit

Nachhaltigkeit ist kein Luxus, sondern ein zentrales Leitmotiv für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens, das in die Unternehmensstrategie und operativen Entscheidungen integriert werden muss. Sobald über das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk Fortschritte erzielt und skalierbar geworden sind, zeigt sich die wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeit als essenzieller Werttreiber im Unternehmen.

AUTOR

Dr. Marcus Kind, Interim Executive

Bei Fragen nehmen Sie gerne Kontakt zu uns auf. Unsere Interim Manager verfügen über eine breite Expertise in den verschiedenen Nachhaltigkeitsaspekten sowie deren Transformation in die Strategien und Geschäftsprozesse.